Ein kurzer Blick in die Vergangenheit:
Im Jahr 397 starb eine der populärsten Persönlichkeiten unseres Planeten: sein Bild und seine Bedeutung sind während der Jahrhunderte und in allen Nationen der Welt unverändert geblieben: Sankt Martin. Er ging in die Legende ein als römischer Offizier, der vor den Toren von Amiens seinen Mantel mit einem Armen teilte. Später als Mönch in Liguge bei Poitiers wurde er im Jahre 371 eines Tages aus seiner Ruhe und Einsamkeit gerissen und zum Bischof von Tours geweiht. Während seines Episkopats bereiste er ganz Gallien. Er ist der große Evangelist der Landbevölkerung, die bis dahin noch heidnisch ist. Am 8. November 397 starb er in Candes, am Zusammenfluß von Vienne und Loire gelegen. Von seinen Gläubigen nach Tours zurückgebracht, wurde er im gallo-romanischen Friedhof begraben, der sich über das ganze Viertel westlich der eigentlichen Altstadt von Tours erstreckt. Dort befindet sich heute die Basilika. Der ersten Kapelle, die man errichtete, folgt bald eine erste Basilika, die von den Merowinger Königen und den Karolinger Kaisern besucht wurde. Im 9. Jahrhundert verwüsteten die Normannen die Ufer der Loire.
Vom 10. bis zum 14. Jahrhundert baute man wieder auf, vergrößerte, erneuerte. Fünf Päpste besuchten die Stiftskirche. Die Kapetinger Könige erklärten sich sogar zu Laien-Abten, d.h. zu offiziellen Schutzherrn der Kirche. Im 15. Jahrhundert ließ Ludwig XI. um das Grab des Heiligen und den Reliquienschrein ein Gitter aus Silber aufstellen, das von den Pilgern bewundert wurde.
Ein schnell vergänglicher Glanz ....
Das Silbergitter wird von Francois I. verwendet, um seine unglückliche Expedition nach Pavia zu finanzieren.
Im Jahr 1562 wüten die Religionskriege 100 Tage lang in der Basilika; der ganze Schatz, der im Laufe vieler Jahre angesammelt wurde, ging verloren. Man warf sogar die Reliquien der Heiligen ins Feuer, die um Sankt Martin herum begraben waren. Er selbst fand keine Gnade. Ein für das Grab verantwortlicher Priester war jedoch so geschickt und ließ das Fragment eines Armes und bedeutende Fragmente vom Kopf des Heiligen Bischofs verschwinden, bevor man sie ins Feuer warf.
Während der französischen Revolution wird die Basilika erneut geschlossen und beraubt, schließlich von der Armee als Pferdestall genutzt.
1797 stürzt ein Teil der Gewölbe ein. Vergeblich bemühen sich die Gläubigen um die Reparatur. Schließlich muß der Abriss erfolgen.
Durch die Achse des Kirchenschiffes führte man eine öffentliche Straße. Von den fünf Glockentürmen, die einst die Stadt überragten, bleiben nur die beiden Türme, die man heute noch rechts und links von der Straße vorfindet. Im Norden der Turm Karls des Großen und im Nordwesten der Turm des Kirchenschatzes, von nun an "Uhrturm" genannt.
Die Armreliquie wird heute in der Domkirche aufbewahrt, die Reliquie des Kopfes wird den ganzen November hindurch über dem Hauptaltar der Basilika ausgestellt.
Am Anfang des XIX. Jh. scheint jedenfalls das Ende einer der berühmtesten Pilgerstätte Europas gekommen zu sein, als sich 1834 ein ehemaliger Richter in Tours niederläßt, der Nachforschungen anstellt. Hierbei stieß er am 14.12.1860 in einem Keller eines neuerbauten Hauses auf Reste vom Grab des Heiligen Martin. In der Bevölkerung wird die Hoffnung gehegt, bald wieder eine neue Basilika bauen zu können. Jedoch die Stadt gibt das von ihr in Anspruch genommene Gelände nicht zurück und ist auch nicht bereit, die gebaute Straße zu entfernen.
Man muss sich also mit bescheidenen Plänen zufrieden geben und baut eine Kirche in Nord-Süd-Richtung, deren Chor jedoch das Grab des Heiligen an seinem ursprünglichen Platz beherbergt. Die 1902 vollendete und 1925 geweihte Basilika dient von nun an wieder ihrer alten Bestimmung.
Die Proportionen des Gebäudes sind in bemerkenswerter Weise gelungen. An einem sonnigen Tag kann man ihren ganzen Zauber entdecken: Das Licht strömt zum Chor, der zusätzlich durch die Öffnungen in der Kuppel erhellt wird. Am Ende der Kirche befindet sich der Reliquienschrein.
Drei Kirchenschiffe führen zu den großen Treppen, die wiederum zum Chor führen. Sie sind durch zwei Reihen von je sieben Säulen getrennt. Ihre Kapitelle stellen die ersten Bischöfe dar, die am Bau beteiligt waren. Inspiriert von den italienischen Basiliken wurde das sichtbare Gebälk bemalt und mit Gold ausgelegt, so dass die Kirche noch glänzender und strahlender wirkt. Die Fenster an den Wänden der Seitenschiffe erzählen die Lebensgeschichte des Hl. Martin in allen Einzelheiten, mit allen Wirrnissen und Wechselfällen. Oben in der Kuppel (51 m hoch) sehen wir den glorifizierten Hl. Martin, umgeben von seinen Nachfolgern und seinem Freund.
Zwei Treppen führen hinunter in die Krypta. Dort ist das Mausoleum zu sehen, in dem die Reste des im Jahr 1860 wiedergefundenen Grabgewölbes enthalten sind. Die Krypta selbst ist auch in drei Schiffe unterteilt, die durch acht massive Säulen aus Granit voneinander getrennt werden. Die Wände sind mit Votivbildern geschmückt, deren Farbenpracht dem Raum noch mehr Wärme gibt und den Besucher zu innerer Einkehr und Sammlung einlädt. Zwei Inschriften fallen hier besonders auf. Die eine vom 11. November 1918 von Marschall Foch von Frankreich und aus dem Jahr 1947 die Inschrift, die uns auf Papst Johannes XXIII. hinweist, der mehrfach nach Tours kam, um in der Kirche des Hl. Martin zu beten. Auch leitete er die Jubiläumsfeierlichkeiten im Jahr 1947.
Unwillkürlich denkt man an den schönen lateinischen Spruch über dem Eingangsportal:
Gaude felix Turonum civitas, thesaurum possides (Freue dich, glückliche Stadt Tours, Du besitzt einen Schatz).
Aber der wahre Schatz ist von jedem für jeden von uns die Botschaft des Hl. Martin, die Botschaft der Barmherzigkeit.